Säuglinge, Babys und Kleinkinder sind auf uns Eltern angewiesen, das ist allgemein bekannt. Wir wickeln, füttern, tragen und beschützen sie. Die große Angst von vielen Eltern, gerade von neuen Eltern, ist, etwas falsch zu machen wenn ihr Baby weint oder sich nicht ablegen lässt. Diese Sorge ist menschlich, aber es kann helfen, informiert zu sein. Ich erkläre dir die Hintergründe für anhaltendes Schreien und gebe Tipps, um diese Phasen für dich und dein Baby angenehmer zu gestalten.
Regulation vor und nach der Geburt
Co-Regulation startet nicht erst, wenn die Kinder mitten in der Autonomiephase stecken, sondern schon vor der Geburt. Im Mutterleib trinken Babys wenn sie Hunger/Durst haben, schlafen wenn sie müde sind oder scheiden aus wenn sie es müssen. Sie befinden sich in ihrer warmen „Höhle“, hören die ganze Zeit Mamas Herzschlag und fühlen sich sicher und geborgen.
Die Geburt, die für Mama und Baby mitunter sehr aufregend und stressig ist, bringt Babys „heile Welt“ zum ersten Mal aus dem Gleichgewicht.
Das Baby, das gerade noch im Mutterleib war, muss sich erstmal genau wie die Mutter von der Geburt erholen. Dem Baby ist kalt, auf einmal ist es laut, hell und neu. Es braucht seine Mama um sich zu beruhigen.
Wenn die Mutter dann zum ersten Mal ihr Baby auf der Brust liegen hat, das Baby Wärme und Herzschlag außerhalb des Mutterleibs erfährt, spricht man von Co-Regulation. Es kennt den Duft der Mutter und weiß aus evolutionären Gründen genau, wo sich die Brust der Mutter befindet, um zu saugen.
Was genau ist eigentlich Regulation?
Regulation ist die Fähigkeit, angemessen auf verschiedene Gefühle und Emotionen reagieren zu können. Es ist ein Bewältigungsmechanismus, um Sicherheit und Gleichgewicht herzustellen. Sicherlich kennt jeder Erwachsende das Gefühl, von etwas überwältigt zu sein, oder so überfordert zu sein, dass man nicht weiß, wohin mit seinen Gefühlen. Nun ist es Babys und kleinen Kindern aufgrund ihrer noch nicht vorhandenen Hirnreife nicht möglich, sich alleine zu regulieren. Dazu brauchen sie ihren sicheren Hafen, ihre Eltern.
Um aufzuzeigen, wie hilflos Neugeborene tatsächlich sind, kann man sich vorstellen, dass Babys im Bauch der Mutter fast zehn Monate heranwachsen um dann unreif zur Welt zu kommen. Im Tierreich können Fohlen bereits eine Stunde nach der Geburt aufstehen und die ersten Schritte machen. Tierkinder kommen zwar auch wie Säuglinge aus dem warmen und beruhigenden Bauch ihrer Mutter, aber sie sind zu unreif und daher komplett auf die Fürsorge ihrer Eltern angewiesen.
Notwendigkeit der Regulation in Bezug auf Nahrungsaufnahme:
Wie oben bereits erwähnt, nimmt das Baby selbstbestimmt und intuitiv Nahrung im Mutterleib auf. Ab dem Moment der Geburt ist es dazu auf Hilfe angewiesen. Ihm ist quasi eine Fähigkeit abhandengekommen. Wenn man jetzt beispielsweise erwartet, dass das Neugeborene nur alle 3-4 Stunden Hunger hätte, würde man dem kleinen Organismus in eine extrem beängstigende, weil für ihn nicht begreifbare, Situation bringen. Es kennt das Hungergefühl und alles was es nun wahrnimmt, ist die Verweigerung von Nahrung. Das führt unweigerlich zu Frust, Angst und Vertrauensverlust. Menschen oder Fachkräften, die dies verbreiten, möchte ich persönlich gerne das Essen und Trinken einteilen, oder den Kühlschrank mit einem Zeitschloss versehen. Hier kommt eine wichtige Info: Stillen nach Bedarf ist hier das Mittel der Wahl. Für Säuglinge und Babys ist das sicher in erster Linie Nahrungsaufnahme, aber Stillen ist noch so viel mehr. Es reguliert das Nervensystem, das Baby spürt den Herzschlag der Mutter und das Bindungshormon Oxytocin wird ausgeschüttet. Dieses Hormon wird umgangssprachlich auch als „Kuschelhormon“ bezeichnet. Außerdem wird beim Kind ein Bedürfnis befriedigt, nämlich das nach Nähe und Zuwendung, wovon Säuglinge und Babys nie genug bekommen können.
Notwendigkeit der Regulation in Bezug auf Schlaf:
Das Thema Schlaf ist der nächste große Punkt zum Thema Co-Regulation. Nun lässt sich darüber streiten wie ein Säugling am besten zu schlafen hat. In den USA beispielsweise ist Schlaftraining weit verbreitet und es wird propagiert, dass jedes Baby/Kleinkind in seinem eigenen Bett im eigenen Zimmer schlafen sollte. Dies hat viel mit der Angst vor dem plötzlichen Kindstod zu tun, aber darauf werde ich hier nicht genauer eingehen.
Man muss sich vorstellen, das Baby hat zehn Monate bei seiner Mama im Bauch verbracht und kennt nichts anderes. Plötzlich wird es alleine in einen riesigen Raum gelegt. Vergleichbar damit wäre, wenn wir Erwachsenen auf einmal mutterseelenallein in einer Turnhalle aufwachen würden. Was Abhilfe schaffen kann, auch wenn es wahrscheinlich für die Erwachsenen häufig anstrengend ist, der Kontakt zu den Eltern. Eine sichere Schlafumgebung schaffen in der sich das Baby und die Eltern wohl und geborgen fühlen. Wie kann diese aussehen? Eine Möglichkeit wäre, das Baby auf sich oder neben sich, beispielweise in einem Nestchen schlafen zu legen – das nennt man Co-Sleeping. Hier gebe ich zu bedenken, dass die meisten Babys sicherlich die erste Variante bevorzugen würden. Wenn der Säugling 30 Zentimeter von der Mama entfernt im Nest schläft, begreift es trotzdem nicht, dass es direkt neben ihr liegt. Ein Beistellbett am eigenen Bett ist für viele Babys und Eltern auch eine gute Möglichkeit. Leider gibt es nicht das eine Patentrezept, hier sollte jede Familie für sich entscheiden was es am besten funktioniert.
Notwendigkeit der Regulation in Bezug auf Schmerzen:
Als nächstes möchte ich die bekannten Koliken, die bald nach der Geburt einsetzen, thematisieren. Ja, es gibt Babys, die darunter leiden, aber nicht jedes Baby, das weint hat Koliken. Diese Diagnose wird viel zu leichtfertig dahingesagt, ohne dass ein Arzt dies bestätigt. Zur Erklärung, der Darm befindet sich bis zum vollendeten dritten Lebensjahr noch in der Entwicklung und natürlich können Babys diesbezüglich unter Schmerzen leiden. Wir wissen nie genau was einem Baby gerade fehlt. Daher kann es Sinn machen, dass Baby genau zu beobachten und ggf. aufzuschreiben was auffällt, um ein Muster erkennen zu können. Es gab Fälle, in denen Babys Probleme mit der Halswirbelsäule hatten und es wurde als Kolik abgeschrieben. Ein Besuch beim Kinderarzt oder ggf. auch bei einem Osteopathen können im besten Falle Abhilfe verschaffen. Viele Krankenkassen bezuschussen mittlerweile die Behandlungen.
Notwendigkeit der Regulation bei Schreibabys:
Wenn ein Baby mehr als an drei Tagen pro Woche, mehr als drei Stunden am Tag und über einen Zeitraum der länger als drei Wochen schreit, dann fällt es in diese „Schreibaby-Kategorie“. Dies ist für frischgebackene Eltern eine sehr große Belastung. Diese Schreiattacken treten nach den ersten zwei Lebenswochen ohne erkennbaren Grund auf und nehmen bis zur sechsten Lebenswoche noch zu. Häufig klingen sie nach dem dritten vollendeten Lebensmonat ab. Sie können manchmal auch das erste halbe Jahr bestehen bleiben. Für diese Schreiattacken gibt es keinen erkennbaren Grund und die Eltern haben schon alles probiert, wie füttern, tragen oder wickeln. Da Schreien für Babys die einzige Art ist, um auf sich aufmerksam zu machen, und seine Bedürfnisse zum Ausdruck bringen zu können, ist dieses Verhalten für Babys erstmal ganz normal. Ich weiß, sehr unbefriedigend, doch leider sind die genauen Ursachen für die Schreitattacken bis heute nicht geklärt.
Welche Ursache haben diese Schreiattacken?
Babys lernen in den ersten Lebenswochen und -monaten mithilfe der Eltern bzw. der Bezugspersonen, das Schreien zunehmend besser zu regulieren. Dazu gehört auch, Umwelteindrücke zu verarbeiten sowie einen Schlaf-Wach-Rhythmus und Ernährungsgewohnheiten zu erlernen. Man geht davon aus, dass Babys, die exzessiv schreien, diese Fähigkeiten noch nicht altersgerecht erlernt haben. Das exzessive Schreien wird daher zu den frühkindlichen Regulationsstörungen gezählt. Die betroffenen Babys sind vermutlich sensibler und reagieren intensiver auf Reize als andere Babys. Das heißt, sie sind von Sinneseindrücken schneller überfordert und können sich schlechter beruhigen. Zudem schlafen sie meist weniger als andere Babys. Die Schreiattacken treten oft z.B. nach dem Füttern auf oder aufgrund von Übermüdung, wenn sie „überreizt“ sind. Auch die Anspannung und der Stress der Eltern, die sich daraus entwickeln, sind für die Kinder oft sehr deutlich spürbar und das merken die Babys.
Wie reguliere ich mein Baby oder Kleinkind denn nun?
An dieser Stelle muss kurz gesagt werden, dass Babys und Kleinkinder nicht in der Lage sind „zu manipulieren“. Es ist essenziell wichtig zu verstehen, dass sie dazu in der Lage sein müssten, Empathie zu empfinden. Damit ist die Fähigkeit gemeint, sich in eine andere Person hineinversetzen zu können. Diese Fertigkeit entwickelt sich allerdings erst um das vierte Lebensjahr herum.
Stillen
Babys lassen sich sehr gut über das Stillen regulieren. Natürlich kann es sein, dass sich einige jetzt fragen, ich soll mein Kind mit Nahrung beruhigen? Bei Säuglingen & Babys ist die Antwort ganz klar: ja. Stillen ist ein Grundbedürfnis und auch größere Babys und Kleinkinder regulieren sich ganz wunderbar darüber. Es ist nicht nur Nahrungsaufnahme, sondern spendet auch Wärme, Geborgenheit und Nähe. Stillen hat kein Ablaufdatum. Auch wenn du das Gefühl hast, ständig zu stillen, versuche dein Baby immer wieder anzulegen. Der ein oder andere wird sich fragen, warum der Schnuller hier nicht vorkommt. Ich finde die Vorstellung auf einem Gummiding rumzunuckeln sehr befremdlich und oute mich hiermit als Gegner jeglicher Fremdsauger. Die Nachteile überwiegen die Vorteile. Auch wenn einige Kinder keinerlei Folgen davongetragen haben, können die Langzeitfolgen (orale Süchte, Mundatmung und Zahn-& Kieferfehlstellungen) verheerend sein.
Tragen
Auf jeden Fall gibt es noch andere Möglichkeiten sein Baby zu regulieren. Babys sind Traglinge und lieben die Geborgenheit bei Mama oder Papa auf dem Arm zu sein, oder auf den Eltern zu schlafen. Nutze dazu auch gerne eine Tragehilfe wie Tragetücher oder Babytragen. Sie vermitteln Enge und Sicherheit und die Nähe die Babys so lieben.
Hautkontakt
Am besten für die Bindung ist es, wenn man mit dem Baby über direkten Hautkontakt „bondet“. Dies schüttet Bindungshormone aus und das Baby fühlt sich sicher und geborgen. Wenn mein Kind in bestimmten Situationen nicht zu beruhigen war, habe ich es auch noch lange über das Neugeborenenalter hinaus Haut auf Haut bei mir kuscheln lassen und das hat es sehr häufig beruhigt. Ich weiß, das ist für Eltern die sehr verzweifelt sind, bestimmt schwer, aber selbst Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen wird deinem Baby sehr wahrscheinlich helfen. Es wird sich an deinem Herzschlag orientieren und es ist ratsam, dass du selbst zwei bis dreimal tief durchatmest. Eine ruhige und reizarme Umgebung ist sehr wichtig, gerade weil viele Babys dazu neigen in den Abendstunden zu schreien.
Rotes Licht
Anhaltendes weinen abends lässt darauf schließen, dass es am Tag möglicherweise zu viele Reize gab. Also ist es durchaus sinnvoll, das Zimmer abzudunkeln und ein kleines rotes Licht anzustellen, weil rot beruhigender wirkt, als grelles weißes oder gelbes Licht.
Musik
Man kann es auch gut mal mit sanften Klängen probieren, oder dem Baby leise etwas vorsingen.
Mein Tipp für dich:
Meiner Erfahrung nach macht es Sinn, dies ggf. nicht alles auf einmal auszuprobieren.
Such dir gerne erstmal einen Punkt aus und schaue wie es funktioniert. Neue Gewohnheiten und Routinen etablieren sich nicht von zweimal ausprobieren, sondern brauchen Zeit. Außerdem gilt es, eine Haltung zum Thema Bindung zu entwickeln und sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass Babys uns brauchen und von uns abhängig sind. Egal, was für alte Wunden das in uns aufreißt, aber wir sind die Erwachsenen und wir sind für unsere Gefühle und Emotionen zuständig und nicht unsere Kinder. Genauso wie wir dafür da sind, unseren Babys und Kindern durch alle möglichen Gefühle und Emotionen zu helfen.
Fazit
Die Co-Regulation von Babys und Kleinkindern ist keine leichte Aufgabe und Eltern kommen hier verständlicherweise schnell an ihre Grenzen. Nicht nur weil es schwierig auszuhalten ist, wenn die eigenen Kinder weinen und schreien, sondern auch, weil wir als Eltern getriggert werden. Was meine ich damit? Nun, wir waren auch alle mal Kinder und wer weiß, was wir als Baby oder Kleinkind erlebt haben? Vielleicht wurden unsere Bedürfnisse nicht ausreichend erfüllt, das kann ein Grund sein, dass uns das Schreien unserer eigenen Kinder sehr aus der Fassung bringt. Es kann sein, dass die Wutanfälle unserer Kleinkinder, obwohl wir wissen, dass es Sinn macht, diese zu begleiten, ständig so aus der Bahn werfen und wir oft zu laut werden.
Deshalb lohnt es sich hinzuschauen, was die Gefühle unserer Kinder in uns selbst auslösen.